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Intuitiv Essen

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Intuitiv Essen - Bild 1

Stell Dir vor Du wirst wach und die erste Neuigkeit des Tages berichtet eindrücklich von einer neuen Wunderwaffe gegen Übergewicht. In der Tageszeitung, den Nachrichten, bei Facebook, Twitter und Co., überall wird davon gesprochen, dass dieses neue Mittel endlich dauerhaft den Kampf mit der Ernährung beendet. Bei regelmäßiger Anwendung verspricht es die Erfüllung aller Träume eines Diäterfahrenen:

Endlich Freiheit im Umgang mit dem Essen. Endlich essen können was man möchte. Endlich wohlfühlen im eigenen Körper. Endlich genießen können, wann immer man möchte. Endlich sorglos schlemmen wo immer man ist.

Nie wieder Regeln und Vorschriften. Nie wieder mit übergroßem Appetit kämpfen und versagen. Nie wieder ein Stück Torte zuviel essen. Nie wieder ein schlechtes Gewissen beim Essen. Nie wieder eine Party fürchten oder vermeiden, weil es die Diät durcheinander bringt oder man nicht widerstehen kann. Nie wieder völlig überessen. Nie wieder heimlich essen. Nie wieder ständig ums Essen kreisende Gedanken.

Endlich Freiheit – die sozialen Medien vibrieren vor Begeisterung und die Kassen des Herstellers klingeln.

Wenn Du an dieser Stelle hoffst, dass es so ein Mittel irgendwann gibt und weißt, dass Du es sofort und für fast jeden Preis kaufen würdest, dann lies weiter, denn dieser Artikel ist für Dich geschrieben.

Was sich wie ein Traum anhört, wenn ein Hersteller dafür Tabletten verkaufen würde, ist genau das, wohin der Lernprozess des Intuitiven Essens führt. Aber ohne die Hilfe eines Wundermittels weckt es wohl eher Entrüstung, wenn ein Ernährungsberater plötzlich rät: Vergiss alle Regeln, vertraue deinem Körper und iss einfach.

Die Vorstellung, gänzlich ohne Regeln zu essen löst bei vielen Diäterfahrenen zumindest einmal großes Stirnrunzeln aus. Wahrscheinlich aber führt es vielmehr zu lautem Protest: “Wenn ich alles essen würde, worauf ich Lust habe, dann…”

Ja, was wäre dann?

Vielleicht neigst Du zu einer Antwort wie die folgenden:
“… dann wäre ich nicht zu stoppen!”
“… dann bräuchte ich in zwei Wochen die doppelte Kleidergröße!”
“… dann würde ich nur noch Ungesundes essen und in zwei Jahren einen Herzinfarkt erleiden!”
“… dann müsste ich meinen Job aufgeben, damit ich genug Zeit für all den Sport zum Ausgleich für die Kalorien habe.”

Bevor wir diesen berechtigten Einwänden nachgehen, nehmen wir uns jedoch die Grundidee des Intuitiven Essens vor, damit auch diejenigen, denen der Begriff noch gar nicht untergekommen ist, eine Vorstellung bekommen, worum es geht.

Jeder Mensch wird, wie auch alle Tiere, als intuitiver Esser geboren. So wie der (gesunde) menschliche Körper keine Tabellen oder bewusste Kontrolle benötigt, um Sauerstoffsättigung, Hormonhaushalt, Zellerneuerung, Blutzuckerspiegel und hunderte andere Funktionen harmonisch auszubalancieren, genauso verfügt der Körper über Systeme zur Regulierung der Nahrungsaufnahme und Verhinderung von Mangelerscheinungen.

Wir sind jedoch so sehr an Kalorientabellen und Ernährungspyramiden gewöhnt, dass uns der Gedanke mehr als befremdlich ist, die Nahrungsaufnahme müsse nicht von außen gesteuert  und reglementiert werden. Wer jahrelang nur nach Vorgaben und Diätenlisten gegessen hat, der kann sich kaum noch vorstellen, dass ein gesunder Körper durch Appetit, Abneigungen, Heißhunger, Durst und viele andere “Symptome” normalerweise sehr gut zu dem kommt was er braucht. Sättigung setzt ein, wenn der Körper genug hat, Hunger, wenn er mehr benötigt. Der Stoffwechsel wird angekurbelt, wenn etwas mehr Energie vorhanden ist, als gebraucht wird, oder gedrosselt wenn es knapp wird.

Natürlich schlanke Menschen sind intuitive Esser

Wahrscheinlich kennt jeder Diätgeplagte mindestens einen dieser beneidenswerten Menschen (oder ist mit einem verheiratet), der scheinbar essen kann, was er will und ohne extra Sport, Diäten oder Ernährungsregeln einfach natürlich schlank ist. Seine Gedanken kreisen nicht ständig ums Essen, sondern nur dann, wenn sich der Hunger meldet. Häufig essen diese Menschen zuerst, was sie am meisten anlacht und nicht was sie meinen, essen zu müssen. Wenn der Hunger am größten ist, wird auch am schnellsten gegessen, danach verlangsamt sich das Tempo. Gerade bei Kindern kann man beobachten, wie eine Mahlzeit genau betrachtet, untersucht, gefühlt und geschmeckt wird. Wenn sie genug haben, dann bleibt der Rest liegen – egal ob es sich um einen Bissen oder Dreiviertel der Mahlzeit handelt. Und wenn sie satt sind, ist Essen auch kein Thema mehr.

Wer Erfahrungen mit Diäten gemacht hat, kennt wahrscheinlich eher das Gegenteil: Während einer Diät kreisen die Gedanken ständig um die erlaubten und unerlaubten Lebensmittel. Mahlzeiten sind das Highlight im Alltag. Am Ende der Mahlzeit freut man sich schon auf die nächste Gelegenheit zu essen. Regelbrüche werden häufig mit strengeren Regeln am nächsten Tag “ausgebügelt”. Nicht selten führt ein Regelbruch aber zum Kontrollverlust und dem “jetzt ist auch alles egal” Effekt. Mehr dazu habe ich bereits im Artikel “Warum ich keine Diäten mehr mache” geschrieben. Der eigene Körper wird ständig mit anderen verglichen, sei es auf der Straße oder beim Durchblättern von Magazinen. Kummer, Stress oder Freude werden häufig mit Essen behandelt, wie ich im zweiten Teil der Serie im Artikel über Emotionales Essen schon beschrieben habe.

Aus meiner Sicht ist der einzige dauerhafte Weg aus diesem Dilemma das Wiedererlernen des natürlichen Essverhaltens. Und interessanterweise führt dies zu genau dem Bild, was ich zu Beginn als Effekt des Wundermittels beschrieben habe: Freiheit im Umgang mit Essen. Es braucht kein Mittelchen und keine großen Geldsummen, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist das Ziel, wohin der Prozess des Intuitiven Essens führt. Das geht nicht über Nacht und erfordert, wie alles Lernen, etwas Geduld und Ausdauer. Zuerst fühlt es sich neu und ungewohnt an. Es geht etwas holprig zu, wie in der ersten Fahrstunde. Viele Details erfordern Aufmerksamkeit und Üben. Doch genau wie beim Autofahren geht es irgendwann in Fleisch und Blut über und man muss nicht mehr über jede Kleinigkeit nachdenken.

Intuitiv Essen – So geht es

Das Standartwerk zum Thema ist das Buch “Intuitive Eating” von Evelyn Tribole und Elyse Resch und beschreibt zehn Prinzipien, die den Weg zum Intuitiven Essen führen. Die deutsche Übersetzung wurde leider nicht ganz treffend “Intuitiv Abnehmen” genannt, weil es sich so wohl besser verkauft… Sicherlich führt dieser Lernprozess die meisten Menschen auf Dauer zum individuellen natürlichen Normalgewicht und beinhaltet Abnehmen. Es ist jedoch gut möglich, dass das eigene natürliche Normalgewicht nicht den überarbeiteten Bildern aus Hochglanzmagazinen entspricht. Deshalb ist ein wesentlicher Teil des Lernprozesses, seinen Körper zu respektieren statt ihn zu attackieren und in eine unrealistische Form pressen zu wollen.

Im Kern des Ganzen steht Frieden – mit dem Essen, mit sich selbst und mit der Umwelt. Und ganz nebenbei wird damit eine Menge Lebensraum frei für Neues. All die Gedanken und Energie, die in das Thema Essen und Diäten fließen, können jetzt den wirklich wichtigen Themen des Lebens gewidmet werden. Vielleicht ein neues Hobby ausprobieren? Vielleicht eine Leidenschaft in die Tat umsetzen, die ich seit Jahren in mir unterdrücke? Vielleicht einen Lebensschritt wagen, den ich immer wieder auf “wenn ich mal abgenommen habe” verschoben habe? Vielleicht eine große Lebensveränderung, wenn ich feststelle, dass außer dem Thema Essen eigentlich viel Leere in meinem Leben herrscht?

Für eine Übersicht über die zehn Prinzipien habe ich eine Infografik erstellt, die Du im VIP Bereich findest. Da es den Rahmen eines einzelnen Beitrags bei Weitem sprengt, fidnest Du jedes Prinzip in einem separaten Artikeln näher beleuchtet.

Erste Erfahrungen mit Intuitiver Ernährung

Das Spannendste an diesem Prozess ist für mich das neue Kennenlernen und Wertschätzen des eigenen Körpers. An mir selbst habe ich festgestellt, dass es durch die Jahrzehnte der Ablehnung meines Körpers gar nicht so einfach ist, Signale wieder zu empfangen oder wahrzunehmen. Zuerst herrschte sehr viel Unsicherheit. Der Analytiker in mir wollte alles gleich ganz richtig machen und genau wissen. Und so kam es auch, dass ich vor eineinhalb Jahren das Ganze unbemerkt wie eine Diät behandelt habe und entsprechend oft wieder davon weggekommen bin.

Seit ich dem Thema mit Neugier, Entspannung und einer guten Portion Gelassenheit begegne, geht es Schritt für Schritt voran und ich stelle erstaunt und mit Freude fest, dass sich auch bei mir bereits Anzeichen eines intuitiven Essers zeigen. So langsam verliert das Essen seine zentrale Position im Leben. Die nächste Mahlzeit ist nicht mehr das Highlight, auf das ich zuarbeite. Ich kann mich an meinem Appetit orientieren und stelle fest: Entgegen meiner Angst davor, will ich keinesfalls immer nur Fast Food oder Süßes. Diese Lebensmittel sind nur dann reizvoll, wenn sie ständig als “schlecht” oder “verboten” auf einer roten Liste stehen. Sobald alles erlaubt ist und ich weiß, dass ich jederzeit davon essen kann, verlieren diese Lebensmittel ihren Reiz.

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Ich beginne das Essen wieder zu genießen statt es in mich reinzuschaufeln, wie ich das oft bei Mahlzeiten getan habe – immer schon den nächsten Bissen parat ohne den aktuellen wirklich zu schmecken. Und seit ich darauf achte, wie es meinem Körper mit dem geht, was ich esse und die Rückmeldung verinnerliche, stelle ich plötzlich fest, dass Lebensmittel mit Suchtpotential gar nicht so lecker sind, wie ich immer dachte. Oder dass ich keine Willenskraft benötige, um nur einen Chocolate Chip Cookie zu essen, weil mir noch so klar vor Augen steht, wie unwohl ich mich beim letzten Mal nach dem zweiten gefühlt habe. Die Veränderung entsteht von innen nach außen und versucht nicht als externe Regel von außen nach innen den Körper zu Veränderung zu zwingen. Das ist für mich das wirklich Befreiende an diesem Prozess.

Der Weg zum natürlichen Essverhalten

Ich habe noch ein gutes Stück des Lernprozesses vor mir. Es fällt mir noch schwer wahrzunehmen, was mein Körper braucht. Es fällt mir noch schwer, nett mit mir umzugehen, wenn ich zuviel gegessen habe. Es fällt mir noch schwer, meinen Körper mit einem freundlichen Blick und nicht mit ständig kritischem Auge zu betrachten. Es fällt mir noch schwer, mein Essen bewusst zu genießen, wenn es gerade bei Mahlzeiten mit drei kleinen Kindern häufig hoch her geht… Doch die Tatsache, dass es noch so viel zu lernen gibt, stresst mich nicht.

Auch im “noch nicht perfekten” Stadium genieße ich schon ungeahnte Freiheit. Es ist mir völlig neu, dass ich manch vielgehasste Kurve an mir plötzlich schön finden kann. Es ist unglaublich entspannend, dass ich mich nicht wegen “guter” und “böser” Lebensmittel stressen oder auf die Uhr schauen muss, ob ich jetzt das essen kann, worauf ich Appetit habe. Es ist ermutigend zu sehen, dass ich eine Mahlzeit vergessen kann, weil ich keinen Hunger hatte. Es macht so viel Freude, meinem Appetit nachgehen zu können und zu entdecken, dass ich mich nach Gemüse sehne. Es ist erstaunlich, dass ich als eingefleischter Süßkramvertilger nach Jahrzehnten feststelle, dass ich die von mir immer favorisierte weiße Schokolade eigentlich zu süß finde. All diese Zeichen von Freiheit genügen mir als Motivation, weiter zu lernen.

Doch noch wichtiger als das ist für mich die Erkenntnis, dass ich nicht noch mehr Lebenszeit damit verschwenden möchte, mit mir und meinem Körper im Dauerkampf zu stehen, mich permament zu stressen und nebenbei mit weiteren Diäten meine Töchter schon früh auf eine Diätenkarriere vorzubereiten. Ich möchte die nächsten 36 Jahre damit verbringen, dankbar zu sein für den Körper, der drei wundervolle Kinder hervorgebracht hat. Ich möchte den Körper respektieren, der mit mir durch dick und dünn gegangen ist. Ich möchte der Weisheit des Organismus vertrauen, der sich um all die Millionen Prozesse im Hintergrund kümmert, damit ich leben kann.

Ein Körper, der zwar nicht magazinperfekt ist, aber Beine hat die mich durch den Tag tragen und Arme, die um meine Familie passen.

Hier findest Du Links zu allen zehn Prinzipien intuitiver Ernährung nach Evelyn Tribole und Elyse Resch:

#1 Ablegen der Diätmentalität
#2 Hunger ernst nehmen
#3 Friedensschluss mit dem Essen
#4 Kampf gegen die Essenspolizei
#5 Die Sättigung respektieren
#6 Entdecke den Genussfaktor
#7 Gefühle ohne Essen bewältigen
#8 Respekt für den eigenen Körper
#9 Bewegung ohne Kampf
#10 Intuitive gesunde Ernährung

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Hier sind die Links zu Büchern, die ich zu diesem Thema sehr empfehlen kann:

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Holztisch mit Frühstücksteller und Orangensaft. Text:"Ernährung ohne Stress - Intuitiv Essen - Dem eigenen Körper vertrauen lernen"

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Nadja

Saturday 11th of August 2018

Hallo liebe Heidi, sehr toll und ausführlich geschriebener Artikel. Ich bin ein großer Freund der intuitiven Ernährung und kann das nur jedem empfehlen wieder auf die eigenen Signale des Körpers zu hören. Viele liebe Grüße Nadja

Heidi Rabbach

Friday 17th of August 2018

Liebe Nadja, Dein Kommentar hat mich riesig gefreut - vielen lieben Dank dafür! Stimmen wie Deine verleihen dem Artikel noch mehr Substanz ???? Liebe Grüße, Heidi

Sabine

Friday 3rd of March 2017

Eine Frage: wenn ich nur esse, wenn ich hungrig bin, wie verabrede ich mich dann zum Essen. Meistens geschieht das ja ein paar Tage vorher.

Auch das Mittagessen mit den Kollegen oder Abendessen findet ja zu relativ regelmäßigen festgelegten Zeiten statt.

Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte mal hungrig war.

Bin gespannt auf deine Antworten. Einen schönen Abend Sabine

Heidi Rabbach

Saturday 4th of March 2017

Liebe Sabine,

Vielen Dank für die Frage! Damit habe ich mich anfangs auch schwer getan.

Zuerst ist es natürlich wichtig, dass man keine Angst (mehr) vor dem Hungergefühl hat und lernt, es wieder wahrzunehmen. Du könntest es an einem freien Tag einfach mal herauskitzeln, bis Du sicher bist, wirklich Hunger zu spüren.

Dabei ist das Magengrummeln nicht unbedingt das Hauptmerkmahl. Beobachte mal, ob Du an Dir noch andere Zeichen für Hunger entdecken kannst (Interesse am Essen, Schwächegefühl, flauer Magen, Kopfschmerzen kann alles dazugehören).

Mit der Zeit lernt man den eigenen Rhythmus besser kennen und kann sich auch auf Verabredungen einstellen.

Wenn man zwei Stunden vor einem Treffen großen Hunger hat, dann isst man eine Kleinigkeit, die erfahrungsgemäß nicht so lange satt macht.

Es gibt viel Raum zum Experimentieren und (wieder) lernen, wie der eigene Körper tickt und auf unterschiedliche Lebensmittel reagiert. Wichtig ist, dass man sehr liebevoll mit sich umgeht. Es gibt kein richig und kein falsch, es gibt keinen perfekten Punkt aufzuhören, denn die Freiheit steht im Mittelpunkt. Was sich im Körper gut anfühlt und auch der Seele gut tut, dass darf jeder selbst herausfinden.

Ich wünsche Dir ganz viel Entspannung in diesem Prozess! Es lohnt sich sehr :)

Liebe Grüße, Heidi